Noch namenlos

Als Lukkha erwachte, schreckte er aus seinen Gedanken.
Hatte er sie irgendwie geweckt.
Ihr zuliebe sollte er die Soldaten lieber doch nicht töten.
Warum auch immer er so dachte, irgendwie verstand er sich selbst nicht.

»Ich will nicht länger stillsitzen.«, grummelte er unruhig.
Warum interessierte es sie, ob er ein Dämon war oder nicht?
»Ihr habt mir auch nicht verraten, was Ihr seid.«, gab er zurück.
Ausserdem hätte sie ihn wohl noch mehr gefürchtet, hätte sie es von Anfang an gewusst.

Lukkha zog einen Mundwinkel nach oben. Stimmt, sie hatte ihm nicht erzählt, was sie war.

"Interessiert dich denn überhaupt, was für eine Ware du mit dir rumschleppst, oder willst du sie nur abliefern und deine Ruhe haben? Was für Wesen hast du schon von A nach B gebracht und wie oft wusstest du mehr als das Gehalt, das du dafür bekommen würdest?"
Ihre Stimme war leise, immer noch bedacht darauf, Tristan und Archer nicht zu wecken. In ihren Augen lag Neugier, gepaart mit unterschwelliger Wut - wie konnte man ein lebendiges Wesen zum Gegenstand eines Handels machen? Wie verzweifelt musste man sein, um sich auf dieses Gewerbe einzulassen.

So verzweifelt wie du, Laryc Aserran ... ?

Sie senkte den Kopf und ein Schauer lief über ihren Rücken, als sie versuchte, sich vorzustellen, was dieser Mann vor ihr schon alles hatte sehen müssen, und die Wut verflog.

»Ich habe nie behauptet dass das, was ich getan habe gut war.«
Er konnte verstehen, dass sie ihn dafür verurteilte.
So wie alle anderen es auch taten, doch er hatte keine andere Möglichkeit gehabt.
»Es ging mir einfach darum, zu überleben. Das ist keine Entschuldigung, aber ich wollte auch nicht sterben.«
Seine Laune ging noch weiter runter.
Seufzend blickte er sich in der Hütte um.
Eigentlich hätte er sein Schwert holen sollen, doch jetzt, in diesem Moment, fühlte er sich einfach nur besiegt.
Und deshalb schwieg er lieber.
So viele Leute waren durch sein Schwert umgekommen, ohne dass er sie kannte.

"Lebewesen machen seltsame Dinge, um nicht zu sterben", murmelte Lukkha leise in Larycs Richtung.
"Ich hab zum ersten Mal Menschen getötet, weil ich leben wollte. Ich wusste nicht, dass es so schnell geht, zum Mörder zu werden. Ich verurteile dich nicht, Laryc Aserran. Vielleicht vertraue ich dir sogar ein bisschen."
Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln.

Verwirrt musterte er sie.
Meinte sie das ernst?
Konnte das sein?
Er hatte sie entführt. Sie konnte ihm nicht vertrauen.
Niemand konnte ihm vertrauen - allein wegen der Zeichen auf seiner Haut.
»Ist schon in Ordnung.«, erwiderte er. »Jeder verurteilt mich.«
Sogar zum Tode...
Kurz spannte er seine Muskeln an, begab sich dann aber schweigend zurück zu dem Bett.
Sie konnte es nicht ernst meinen.
Wenn er anders aufgewachsen wäre, hätte er Jemanden wie ihn wohl auch für seine Taten verurteilt.

"Hörst du mir nicht zu?", fauchte Lukkha. Zornig zog sie die Brauen zusammen und verknotete ihre Finger ineinander.
"Ich verurteile dich nicht mehr! Ich hatte keine Ahnung vom Überleben außerhalb gesicherter Mauern, außerhalb meines Zuhauses, weg von Vaters Macht, Mutters Fürsorge und der Gesellschaft eines Bruders. Ich hatte keine Ahnung von einem Leben ohne Diener, ohne regelmäßiges Essen oder Schlaf. Ich habe selber Menschen ermordet, nur weil ich sie überleben wollte! Ich weiß immer noch nicht, wie es dir geht, aber ich habe eine kleine Ahnung davon, wie es sein könnte", zischte sie wispernd mehr Richtung Boden als Richtung Laryc.

Vielleicht muss ich dir dafür sogar dankbar sein.

»Jeder hat wohl seine Lasten zu tragen.«
Laryc seufzte und starrte die Decke an.
Gegen seine innere Unruhe konnte er nichts tun.
»Es ist nachts. Ihr solltet Euch ausruhen.«
Doch er stand schon bald wieder auf, ging beinahe hektisch durch den Raum.
Er wollte endlich weg von hier, nicht mehr gefangen sein.
Grummelnd näherte er sich seinem Schwert, zögerte, ob er es an sich nehmen sollte.
Ich bin ich. Der Dämon. Der Krieger mit Schwert. Niemand sollte mich je verändern.

Jeder hat wohl seine Last zu tragen. - Herzlichen Glückwunsch, hiermit überreichen wir Euch die philosophische Ehrenauszeichnung!

Irgendwie regte es Lukkha auf, wie abweisend und von oben herab Laryc sie behandelte.
Er würde überhaupt gar nicht mehr leben, hätte sie nicht geholfen!
Und wieder fragte sie sich, warum sie nicht schon tausendmal weggelaufen war, als sie die Chance dazu hatte.
Und die Antwort war wie immer: es würde früher oder später ihr Tod sein. Genauso wie seiner.

"Leg dich wieder hin, sonst bist du wirklich bald ein toter Mann", brummte sie schließlich in seine Richtung, hob den Kopf und sah ihn an.
"Und wenn du tot bist, hab ich auch keine große Chance mehr." Das klang wenigstens ein bisschen egoistisch, ein bisschen nach ihr, Lukkha, Tochter des Grafen von Ramun ...

»Ich kann nicht länger ruhig bleiben.«, erwiderte er daraufhin.
Nein. So leicht werde ich nicht verändert.
So nahm er sein Schwert an sich und warf einen vernichtenden Blick auf die Soldaten, die vor dem Kamin schliefen.
Er konnte sie so einfach töten.
Aber irgendetwas hielt ihn auf.
Was das war, konnte er sich nicht erklären.
Irgendwas in ihm war im Umbruch.
Und das gefiel ihm überhaupt nicht.
»Verzeiht.«
Er ging an Lukkha vorbei und legte sich auf das Bett.
Wenn er schon zu nichts anderem in der Lage war, als herumzuliegen, sollte er das tun.
Aber es nervte ihn.

Schweigend betrachtete Lukkha Larcy noch für einen Moment, dann legte auch sie sich wieder hin.
Das Fell war weich und warm, die Decke, in die sie sich eingekuschelt hatte, dick und gemütlich und das Feuer sang stetig vor sich hin.
Die beiden Soldaten atmeten ruhig und gleichmäßig, scheinbar hatten auch sie eine Rast bitter nötig gehabt.
Doch im Gegensatz zu sich und Laryc gönnte Lukkha ihnen diese kein bisschen. Sollten sie doch verrecken!

Aber vermutlich war es günstiger, wenn nicht noch mehr Soldaten starben, während sie und Laryc zusammen waren. Außerdem garantierten die beiden ihnen, solange sie noch unterwegs waren und nicht in Drukarth angekommen waren, ihr Leben. Dass sie niemals zu Viert ankommen durften, war Lukkha klar. Laryc würde hingerichtet und sie verkauft, an wen wollte sie sich gar nicht vorstellen.

Sie schüttelte die Gedanken ab und schloss die Augen, lauschte dem prasselnden Feuer, dem pfeifenden Wind, den wiegenden Tannen und schlief bald wieder ein.

Laryc schlief die Nacht bis zum Morgengrauen durch.
Als er dann erwachte, fielen einzelne Sonnenstrahlen in die Hütte.
Normalerweise schlief er tagsüber.
Doch hier gab es schon lange kein 'normal' mehr.
Sein Schwert lag auf dem Boden neben dem Bett, er hatte es nicht wieder angerührt, seit er sich hingelegt hatte.
Und es fühlte sich so an, als wäre es gut so.
Trotzdem war die Unruhe nicht entschwunden.
So richtete er sich schnell auf und wollte aufstehen.
»Hey, hey. Ihr solltet Euch ausruhen.«, murmelte Sam und hielt Laryc so davon ab.
Der Mediziner kam näher zu ihm und begutachtete seine Verletzungen.
»Mich wundert es, dass Ihr damit überhaupt aufstehen könnt. Ihr solltet das wirklich nicht tun. Ruht Euch doch einfach mal fünf Tage lang aus. Ist das zu viel verlangt?«
Laryc seufzte. »Wenn es sein muss.«
Im selben Moment hasste er sich für diese Antwort.
Er - Laryc Aserran. Wann hatte er sich das letzte Mal bevormunden lassen?
Er konnte sich nicht erinnern.
Und jetzt ließ er sich einfach so von einem alten Mann vorschreiben, was er tun sollte, obwohl er es nicht wollte?
Die Welt musste ja gewaltig aus den Fugen geraten sein.

Lukkha erwachte davon, dass sie Schritte neben sich hört und die Stimme des alten Mediziners.
Dieser hielt gerade Laryc davon ab, aufzustehen und sich großartig zu bewegen. Dem Greis gelang ganz offensichtlich, wovon sie Laryc nicht hatte überzeugen können.

Sie setzte sich auf und streckte sich.
"Oh, gutem Morgen, Siri", sagte Sam lächelnd und seine blauen Augen blitzten freundlich auf, als er kurz über ihr Haar fuhr.
Das hatte auch ihr Vater häufig gemacht, als sie noch kleiner gewesen war, und kurz flutete Trauer durch ihr Gemüt. Doch sie hatte keine Zeit, sich damit aufzuhalten, denn Sam durchquerte mit ein paar Schritten den Raum und weckte die beiden schlafenden Soldaten unsanft mit leichten Tritten in die Seiten.

"Aufwachen, Männer! Frühstück ist angesagt!" Archer und Tristan antworteten mit einem brummigen Grollen, öffneten jedoch die Augen und Archer erhob sich, gähnte ausgiebig. Tristan blickte erst verwirrt auf die Stelle, wo Lukkha gestern abend noch gelegen hatte, schien kurz orientierungslos, dann traf sein Blick jedoch ihren.

Sie wusste nicht so genau, was alles in seinen Augen lag, aber egal was es auch war, es behagte ihr nicht und sie senkte den Kopf, begann mit den Fingern einige Fussel aus der Decke zu ziehen, als wäre es etwas wirklich wichtiges.

Siri?
Verwirrt sah Laryc zu der jungen Frau.
Warum denn Siri? Verheimlicht sie mir was?
Nachdenklich strich er sich die Haare aus dem Gesicht.
Frühstück?
Diese Begrifflichkeiten kannte er schon beinahe nicht mehr.
Geregelte Mahlzeiten hatte er nicht, wenn er Nahrung fand, aß er, wenn nicht, musste er eben hungern.
Aber es erfreute ihn, dass es etwas zu essen gab.
Auch, wenn es bedeutete, dass die Soldaten wieder wach waren.
Der eine, er hatte den Namen schon vergessen - oder verdrängt - machte sich schon wieder zu offensichtlich an Lukkha - oder hieß sie doch Siri? - heran.
Das gefiel ihm - aus welchem Grund auch immer - überhaupt nicht und so erntete dieser Larycs zornerfüllte Blicke.
Irgendetwas fand er an Lukkha, aber er konnte nicht sagen, was es war, woher es kam.
Und was er auch nicht wusste, war, ob er das gut finden sollte oder nicht.
Offensichtlich veränderte es ihn.
Ob Veränderungen gut waren, wagte er zu Bezweifeln, denn er hatte bisher fast nur Veränderungen mit sehr negativen Auswirkungen erlebt.
Seufzend lehnte er sich auf dem Bett sitzend zurück.

"Archer, verteil das Lamm in den Holztellern da", wies Sam den Mann an. Dieser gehorchte und füllte das dampfende Essen in die flachen Schüsseln.
Tristan nahm ihm zwei Teller und Löffel ab, eine Portion hielt er Laryc vor die Nase, ohne ihn anzusehen, die andere gab er Lukkha, gepaart mit einem Streicheln über die Wange.

Lukkha rang sich ein Lächeln ab, ehe sie den Löffel nahm und sich schnell in den Mund steckte, um Tristans Annäherungsversuchen zu entkommen.
Archer füllte noch drei weitere Teller und einen kurzen Moment später aßen alle das, wie Lukkha zugeben musste, zwar einfache, aber wirklich leckere Essen.
Zimt war mit darin, ein bisschen Tomate, und das Lammfleisch war zart wie Butter. Lukkha genoß die Wärme, die sich von ihrem Magen im ganzen Körper ausbreitete und konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal so über Essen gefreut hatte.

Laryc betrachtete das Essen vor sich auf dem Teller und überlegte sich, ob es klug war, es langsam zu essen, denn seinem Hunger nach zu urteilen würde er am liebsten alles auf einmal verschlingen.
Doch sein Hunger war letzten Endes stärker als die Vernunft und so verputzte er die Nahrung innerhalb kürzester Zeit.
Seine Wunden begannen etwas zu kribbeln.
Ein vertrautes Gefühl, das er lange nicht mehr gespürt hatte - die Regenerationsfähigkeit schien in winzigen Schritten zu ihm zurück zu kommen.
Aber er wollte, dass es schneller ging.
Vier Tage waren ihm zu viel, er wollte sofort weiter, wollte nicht untätig und nutzlos rumliegen und vor allem wollte er diese Soldaten loswerden.
Allein der Blick des einen, wenn er Lukkha ansah, war ihm zu viel.
Er musste sich dann wieder und wieder ein Knurren unterdrücken.
Sobald sie von dem Mediziner weg sein würden, würde er sie beide töten und weiter in Richtung Norden reisen.
Würde ich das?
Will ich das?
Sie hat mir das Leben gerettet und ich war lange genug eine schlechte Person.
Wenn ich sie einfach frei gebe?
Aber was wird dann aus mir? Ich muss Aufträge erfüllen, um zu leben.
Seine Gedanken rasten, aber kein einziger kam ihm richtig vor.
Er wusste, dass nur er die richtige Entscheidung treffen konnte, doch es kam ihm vor, als hätte er noch nie zuvor eine schwerwiegendere Entscheidung treffen müssen.
Vielleicht brauchte er die Tage doch noch, um eine Antwort zu finden.

Dieser bescheuerte Soldat machte sich nur wieder an Lukkha ran.
»Hört auf damit!«, hörte er sich rufen und fragte sich, warum er dann immer so aggressiv war?
Es lag an Lukkha, aber was hatte sie mit ihm angestellt?

Erschreckt von der plötzlichen Stärke in Larycs dunkler Stimme zuckte Lukkha kurz zusammen.
Sie sah auf und bemerkte, wie Tristans Blick von ihr zu Laryc wanderte, von "ausziehend" zu hasserfüllt wurde.
Sie drehte ihren Kopf und sah in Larycs Gesicht, auf dem purer Hass lag.

Hilfesuchend schaute sie zu Sam, der ihr nur zulächelte und damit zu sagen schien "Solang ich hier bin, passiert schon nichts."

Er schien Recht zu behalten. Tristan und Laryc lösten ihre Blicke voneinander und wandten sich wieder ihren Tellern zu.

"Willst du noch mehr?", fragte Lukkha leise und nahm ihm seinen Teller ab, ohne auf eine Antwort zu warten. Natürlich wollte er. Kein Zweifel. Sie stand auf und lief an die Feuerstelle, schöpfte noch eine Portion auf den Teller und gab ihn Laryc zurück.
"Kannst es gebrauchen", wisperte sie mit einem schnellen Lächeln und setzte sich wieder auf den Boden.

»Danke«
Der komische Typ hatte sie zum Glück in Ruhe gelassen.
Was stellte der sich eigentlich vor?
Er durfte alles, weil er ein dämlicher Soldat war?
Das konnte er vergessen, solange Laryc in der Nähe war.
Außerdem würden sich die beiden nicht mehr lange wichtigtuen können. Spätestens dann nicht mehr, wenn sein Schwert ihre Kehlen durchbohrte.
Und da musste er es wieder feststellen: Er war durch und durch ein Dämon. Durch und durch grausam, auch wenn er es nicht einsehen wollte.
Er musste es sich eingestehen.
Außerdem war er nicht gut für Lukkha, sondern hätte sie nur in Schwierigkeiten gebracht.
Wie konnte er nur?
Er musste das unbedingt wieder gut machen, wenn es denn eine Möglichkeit dafür gäbe.
Aber erst einmal musste er wieder gesund werden und so ass er sein Essen schnell auf.
Der Geschmack war einmalig und es kam ihm vor, als hätte er noch nie etwas so gutes gegessen.

Lukkha beobachtete Laryc, wie er das Essen verspeiste.
Er konnte reden, essen und Soldaten anbrüllen - ja, er war definitiv auf dem Weg der Besserung.

"Archer, nimmst du die Teller und wäscht sie beim Brunnen ab? Danke. Tristan, du kannst Holz hacken, ein paar Schritte vor der Hütte findest du Axt und Holz", sagte Sam und sammelte die leeren Teller ein, übergab sie dem Soldaten, der, mit unverhohlenem Widerwillen die Hütte verließ. Tristan folgte ihm.

Kaum war die Tür zugefallen, atmete Sam aus.
"Furchtbare Männer. Aber gut. Und jetzt, Mädchen, wie heißt du wirklich? Wovor hast du Angst? Und was ist hier eigentlich wirklich passiert, Laryc Aserran?", die blauen Augen huschten von Lukkha zu Laryc und wieder zurück. Die Autorität und gleichzeitge Fürsorge verwirrte Lukkha. Prüfend blickte sie zur Tür, doch die Soldaten waren nicht mehr zu hören.

"Mein Name ist Lukkha. Lukkha von Ramun. Und ich habe Angst, dass die beiden mich erkennen könnten. Dass sie erkennen könnten, dass meine Mutter eine Sirene ist und mein Vater der Graf, und dass ihnen irgendwelche grausamen Gedanken in ihrem minderbemittelten Gehirnen erwachsen könnten." Am Ende wurde ihre Stimme zu einem leisen Knurren, während ihre Hände vor Aufregung zitterten.

Laryc Aserran. Schon wieder dieser hässliche Name.
Er seufzte.
Natürlich kannte Sam seinen Namen.
Wie seltsam, dass er ihm trotzdem half.
Schuldbewusst hielt er den Kopf etwas gesenkt.
Eine Geste, die er eigentlich nie gebrauchte.
Doch er war definitiv Schuld an dem Leid, das Lukkha widerfahren war.
»Ich ...«
Er zögerte.
Schämte er sich etwa gerade für sich selbst.
Er war ein Dämon, verdammt nochmal.
»Ich wollte meinen Auftrag ausführen, doch es kamen ein paar zu viele Soldaten dazwischen.«
Kurz gesagt. Aber es ist nicht gelogen.

Die direkte, ehrliche und irgendwie fürsorgliche Art des alten Mediziners ließ in Lukkha ein Gefühl der Dankbarkeit erwachsen. Er wusste, worum es ging, er kannte die Wahrheit, und er war auf ihrer Seite.
Hier war sie sicher, und nicht nur sie, auch Laryc.

"Die Soldaten kamen dazwischen ... soso ... also gut, Laryc ... Lukkha ... ich werde dich gesund pflegen, Dämon, und vorher lasse ich euch nicht gehen. Aber wenn es soweit ist, kann ich nichts weiter tun, als euch gestärkt gehen zu lassen. Was dann passiert, liegt ganz allein in eurem Ermessen..." Er warf Laryc einen tiefen, langen Blick zu, den Lukkha nicht zu lesen wusste.

Es wäre schön, würde er die Soldaten töten können und sie nach Hause bringen, es wäre wunderschön, aber irgendwo verstand Lukkha, dass das nicht ging. Er war nur ein Mediziner, kein König, kein Gott.

Ich bin dafür verantwortlich, was passieren wird.
Einen Moment lang zögerte er.
»Habt Dank.«
Der Mediziner machte allem Anschein nach keinen Unterschied je nachdem, wer man war.
Das war bewundernswert, denn Laryc hatte oft genau das Gegenteil erlebt.
Ihm als Dämon, als Mörder hatte sonst niemand helfen wollen.
Nachdenklich sah er nach draußen.
Was sollte er tun?
Sobald sie weiterreisen würden, würde er die Soldaten töten, so viel stand fest.
Doch wie ging es dann weiter?
Er konnte Lukkha nicht einfach abliefern und ihrem Schicksal überlassen, das hatte sie mit ihm auch nicht gemacht obwohl sie allen Anlass dazu gehabt hätte.
Doch wenn er sie gehen lassen würde, was würde mit ihm passieren?
Er würde weitermachen müssen wie bisher, um zu überleben.

»Sam, man sieht doch, dass es dem Mann da besser geht. Also ziehen wir weiter.«
Archer und Tristan trampelten durch die Tür herein.

Die grobe Stimme Tristans weckte den alten Ekel in Lukkha, diesmal gepaart mit Wut und Hass auf die beiden Soldaten.
Sie stand auf und stapfte auf die beiden zu, die stehenblieben und mit seltsam überforderten Gesichtsausdrücken auf ihre Reaktion zu warten schienen.

"Wir gehen erst, wenn Laryc wieder ganz gesund ist, und ihr habt weder die Kompetenz noch das Wissen, zu entscheiden, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, also schlage ich vor, haltet ihr eure Klappen und macht das, was Sam euch sagt und nichts anderes, absolut nichts anderes, was euren minderbemittelten Soldatenhirnen sonst entspringen könnte, habt ihr das kapiert?!"

Während Archer die Gesichtszüge völlig entgleisten, legte sich auf Tristans Gesicht das altbekannte anzügliche Grinsen, gefolgt von dem Kommentar:
"Ich mag es kratzbürstig, Kleine, du machst es gerade nicht besser ...!" Woraufhin Lukkha mit aller Kraft die sie hatte die Hand zur Faust ballte und ihm mitten ins Gesicht schlug.

Diese Wut von Lukkha brachte Laryc zum Grinsen.
Sie kam wohl mittlerweile ganz gut klar und hatte verstanden, dass sie nicht überall wegen ihres Standes respektiert werden würde.
Aber er wusste auch, dass so jemand wie Tristan so eine Abfuhr nicht kommentarlos über sich ergehen lassen würde.
Dieser hielt sich kurz die Nase, griff dann aber sofort nach seinem Schwert und hielt es Lukkha an die Kehle.
»So nicht, Kleine. So nicht mit mir. Reicht schon, dass wir auf den Mistkerl da so lange warten müssen.«
Archer stand nur schockiert daneben und schien nicht zu wissen, wie er auf den Wutausbruch reagieren sollte.
»Alter Mann!«, schrie Tristan und näherte sich Sam. »Wir werden jetzt gehen und es ist mir egal, ob du etwas dagegen hast oder nicht!«

"Es betrübt mich zu hören, dass Ihr weder Resepkt vor dem Alter noch Geduld habt, Mister Tristan", erwiderte Sam daraufhin offenbar tatsächlich enttäuscht.

Kein König, kein Gott. Er kann nichts tun.

Die Schwertspitze noch an der Kehle, traute Lukkha sich nicht, irgendetwas zu erwidern. Man hatte sie gelehrt, mit alten Menschen respektvoll und freundlich umzugehen, hatten sie doch schon so viel mehr von Leben gesehen als die jüngeren Generationen.
Tristans Ausbruch hatte sie erschreckt und schockiert. Aber es bestätigte nur wieder sein einfältiges Soldatenwesen ...


"Aber wie ich bereits mehrfach sagte, werde ich mein Bestes tun, um Laryc Aserran wieder vollkommen herzustellen. Und daran werdet auch Ihr und Euer Schwert mich nicht hindern, Tristan", Sams Stimme hatte eine seltame Tonlage angenommen und das Schwert an Lukkhas Kehle hatte zu zittern begonnen. Sie starrte Sam an, über dessen Gesicht ein kurzes Lächeln huschte, ehe er Tristan irgendwas staubiges ins Gesicht warf. Tristan kniff die Augen zusammen und begann wild zu husten, Lukkha stolperte einige Schritte vor seinem unkontrolliert hin und her schwingenden Schwert zurück, da war Sam plötzlich hinter Tristan, entwaffnete ihn und schlug ihn mit der Handkante in den Nacken nieder.

Archer stand überfordert daneben und rührte sich nicht und auch Lukkha blickte atemlos auf den alten Greis, der den Soldaten mit List so einfach hatte überrumpeln können.

»Nicht schlecht.«, kommentierte Laryc und machte sich dabei über die Unfähigkeit der Soldaten lustig.
Natürlich konnte man wütend sein, aber nicht unbändig, doch diese beiden hatten scheinbar keine Ahnung.


Als es Laryc nach ein paar Tagen einigermaßen besser ging und auch die Soldaten unruhiger wurden, beschloss Sam, das seltsame Gespann gehen zu lassen.
»Habt Dank, Sam.«, bedankte sich Laryc ehrlich bei dem alten Mediziner bevor sie weiterzogen.
Er hatte ihm das Leben gerettet, obwohl er wusste, wer er war.
Jetzt musste sich Laryc entscheiden: Tötete er die beiden widerlichen Soldaten sofort oder wartete er, bis sie eine gewisse Strecke zurückgelegt hatten.
Doch wenn sie ihn wieder fesseln würden, würde das gar nicht mal so einfach werden.
Und überhaupt, was passierte dann?
Ließ er Lukkha laufen?
Es erschien ihm richtig, doch was wurde dann aus ihm?
Sterben wollte er trotz allem nicht.