Scheinbar war Lukkha tatsächlich eingeschlafen, denn sie wurde aus der Schwärze des Schlafs gezogen, als ein hohes, nervtötendes Klingeln von lauter kleinen Glöckchen an ihre Ohren drang.
Sofort war sie hellwach, sonderlich tief konnte der Schlaf nicht gewesen sein, und setzte sich auf.
Orientierungslos sah sie sich in dem Schlafgewölbe um, suchte die Quelle des Klingelns und kam zu dem Schluss, dass es ungefähr aus der Richtung der Taverne kam, in der sie den Abend verbracht hatte.
Sie rappelte sich auf und tappte durch die Schlafenden, Aufwachenden und Schlummernden hindurch. Ein paar Gestalten schlossen sich ihr an, wollten scheinbar auch dem Getöse auf den Grund gehen oder wussten was es bedeutete und gingen deshalb hin.
"Hey", murmelte sie einem Elfenjungen zu, "Weißt du, was das ist?"
Der Junge sah zu ihr hoch, hob die Brauen. "Wohl noch nicht so lang hier, wie?", lachte er leise.
"Werd nicht frech, beantworte einfach meine Frage!", knurrte Lukkha zurück, überrascht von der plötzlichen Autorität in ihrer arrogant unterlegten Stimme riss der Junge die Augen auf, zog den Kopf zwischen die Schultern und wisperte entschuldigend:
"Das wird die Zigeunerin mit Nachricht von oben sein!" Mit den Worten machte er sich davon.
Lukkha spitzte die Lippen.
Die Zigeunerin? Nachricht von oben?
Sie zuckte die Schultern und folgte weiter dem Läuten der Glöckchen. Tatsächlich hatte sich bereits ein Pulk von Leuten vor der Taverne gebildet, als sie ankam. Gemurmel und Raunen erfüllte das Gewölbe, selbst Lewynn und seine Bardenkollegen hatten das Spiel eingestellt und standen dabei, wie Lukkha erkennen konnte.
Sie drängelte sich zu ihnen durch, die unfreundlichen Worte an sie gerichtet überhörend.
"Lukkha!", ließ sich Lewynn erfreut vernehmen. Sie nickte ihm zu und stellte ihm die gleiche Frage wie dem Jungen.
"Die Zigeunerin ist sowas wie eine Zeitung für uns. Die meiste Zeit der Woche schleicht sie Oben herum, belauscht die verschiedensten Leute, Fürsten, Herzöge, Grafen, Regenten bei ihren Gesprächen, hat Kontakt zu Dieben, Assassinen, Bauern, Kaufleuten, Hexen, Magiern, Gesindel - kurz und gut irgendwie bestimmt zu jeder Gesellschaftsschicht dieser Welt. Sie weiß alles. Und was sie nicht weiß, findet sie für dich heraus - natürlich nicht ohne kleine Bezahlung", erklärte der Barde ihr. "Und am Ende jeder Woche kommt sie zu uns und erzählt die wichtigsten Dinge, die Oben vorgehen."
Lukkha staunte. Dann begann die Zigeunerin zu sprechen.
"Der Herzog Lucio Aevidius hat dem Grafen Nestor von Ramun endgültig den Krieg erklärt! Der Handel ist nicht abgeschlossen worden, wie es aussieht, wusste Griffin von Ramun das zu vereiteln - der eigene Sohn, ganz schön bitter!" Gelächter erhob sich ob dieses spöttischen Kommentars der Zigeunerin.
In Lukkha regte sich der altbekannte Schmerz, doch sie konnte ihn hier nicht zulassen! Sie ballte die Hände zu Fäusten und hielt ihre interessiert blickende Maske aufrecht, ohne mit der Wimper zu zucken.
"Des weiteren wird eine neue Welle an Soldaten erwartet, die hier runter kommen sollen, um uns alle auszuräuchern! Soweit bis jetzt geplant, sollen ihre Rüstungen verstärkt werden und gegen gewisse Rassen unter euch werden sie Silber mitbringen, also passt auf euch auf!"
Empörtes Gemurmel erhob sich, Buhrufe erschallten und Fluche wurden laut.
Was die Zigeunerin als nächstes zu sagen hatte, interessierte Lukkha nicht weiter. Sie hatte genug Probleme mit dem, was sie eben gesagt hatte.
Lucio Aevidius hatte ihrer Familie den Krieg erklärt.
Und die Soldaten würden erneut hier unten einfallen.
Warum nochmal war sie nicht schon längst tot?